5.2.1 Ulkus cruris, venös

Grading & Level of Importance: B

ICD-11

BD74.3

Synonyme

Ulkus varicosus, Beingeschwür, Unterschenkelgeschwür.

Epidemiologie

Die Lebenszeit-Inzidenz für ein Ulcus cruris liegt bei ungefähr 1.0%, Tendenz über Jahrzehnte langsam rückläufig. Die Prävalenz im Bevölkerungsdurchschnitt liegt bei 0.1%; in der Altersgruppe über 80 Jahren jedoch bei 0.3-0.5%.

Definition

Chronische Wunde des Unterschenkels.

Aetiologie & Pathogenese

Die häufigste Ursache eines Unterschekelgeschürs ist eine Ischämie in der oberen Dermis.

  • Chronische venöse Insuffizienz in 60-70% Ursache von Ulcera crurum:
    • Rein oberflächliche Veneninsuffizienz: z.B. ausgeprägte Insuffizienz der Vena saphena magna, 30-40% der Patienten
    • Kombinierte oberflächliche und tiefe Veneninsuffizienz
    • Rein tiefe Veneninsuffizienz: 60-70% der Patienten, sehr oft aufgrund eines postthrombotischen Syndroms. Insgesamt haben ungefähr 50-60% aller Patienten mit venösem Ulcus ein postthrombotisches Syndrom.
  • In 10-20% Kombination von CVI und peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK)
  • In 10% rein pAVK bedingtes Ulkus: Beginn häufig mit Bagatelltrauma am Schienbein oder Wadenbein.
    "Ulcus hypertonicum Martorell": Spezialform des arteriellen Ulkus. Kombination von pAVK mit hypertensiver Arteriolopathie der Subkutis.
  • 5-10% aller Ulzera am Unterschenkel und Fuss sind neuropathischer Genese: z.B. Alkohol, Stoffwechselstörungen, Lepra, Neurolues.

Symptome

Klinische Beschreibung des Ulkus:

  • Ulkusgrund: nekrotisch (schwarz), fibrinös belegt (gelb), granulierend (hellrot), epithelisierend (rosa)
  • Ulkusrand: rund, polyzyklisch, multifokal, seicht, steil, aufgeworfen, unterminiert, bland, gerötet, pustulös, nekrotisch, kallös (hart und hyperkeratotisch)
  • Ulkusumgebung (Hautumgebung): ödematös, bland, gerötet, bräunlich pigmentiert (Hämosiderin) oder weiss atroph (Atrophie blanche), schuppend, nässend, dermatoliposklerotisch

 

Mässige Schmerzen, die bei Bein-Hochlagerung abnehmen; im Gegensatz zum arterielen oder gemischten Ulkus.

Lokalisation

  • Ulkus am medialen Unterschenkel begleitet von chronischer venöser Insuffizienz (CVI): Venöses Ulkus
  • Zwei Ulzera am medialen und lateralen Unterschenkel begleitet von CVI: Gemischte venös-arterielle Ulzera oder venöse Ulzera bei tiefer venöser Insuffizienz
  • Hinter und unterhalb des Aussenknöchels begleitet von CVI: Venöses Ulkus mit Insuffizienz der V.saphena parva
  • Oberhalb des Aussenknöchels ohne begleitende CVI: Arterielles Ulkus.
  • Laterodorsal oder über der Achillessehne, progrediente Hautnekrose: Ulcus hypertonicum Martorell

Klassifikation

CEAP: Klinisch

  • Klasse 5: inaktive (abgeheilte) Ulzeration
  • Klasse 6: offenes Ulkus

 

CVI Stadium III (nach Widmer): offenes oder abgeheiltes Ulkus. 

Labor & Zusatzuntersuchungen

Siehe Kapitel CVI.

Dermatopathologie

Biopsie bei fehlender Heilungstendenz und Verdacht auf das Vorliegen eines Karzinoms oder sonstigen Tumors.

Verlauf

Chronisch rezidivierend.

Komplikationen

Erysipel mit Ulkus als Eintrittspforte. Rezidivierende Erysipele sind oft oligosymptomatisch.

Diagnose

  • Klinisch; einschliesslich weiterer Symptome: Ödem, Atrophie blanche, variköse Venen
  • Nachweis venöser Insuffizienz: Duplex, Doppler, Phlebografie
  • Nachweis arterieller Insuffizienz: Bestimmung des Verschlussdruckes, Angiografie

Differentialdiagnosen

Differentialdiagnose des Ulkus cruris (Merkhilfe: "VITAMINE K"):

V askulär: venös, arteriell, lymphatisch, Vaskulitis; hämatologisch: Sichelzellanämie, Thalassämie
I nfekte bakteriell: Ekthyma, Mykobakterien Tbc, Lepra; Parasiten (Tropen); Mykosen (Tropen)
T raumatisch/physikalisch
A autoimmun: Pyoderma gangraenosum
M etabolisch: Necrobiosis lipoidica
Ulcus hypertonicum Martorell
I atrogen Radiodermatitis
Hydroxyurea
N eoplasien primär: Malignes Melanom, Spinozelluläres Karzinom, Basalzell Karzinom 
sekundär: Hautmetastasen, Entartung chronischer Ulzera (spinozelluläres Karzinom) 
E (ndokrin)

K ongenital Klinefeltersyndrom
Dysgenesien der Venenklappen

Therapie & Prävention

Im Vordergrund steht die Ursachen-Behandlung bzw. –Beseitigung!
Die Hälfte der Patienten mit CVI weisen eine Insuffizienz der V.saphena magna und/oder parva, sowie deren Äste als Hauptursache für ein venöses Ulkus auf. Diese Patienten profitieren von einer chirurgischen oder interventionellen Behandlung. Relevante Stadien der PAVK (mit einem ABI < 0.8, und vor allem mit einem Knöchelarteriendruck < 90 mmHg) profitieren von einer perkutanen transluminalen Angioplastie (PTA).

 

Venöse Ulzera:

Generell Verbesserung des venösen Rückflusses

  • Kompression
  • Sklerotherapie
  • Varizenstripping
  • Selektive Venenchirurgie
  • Korrektur allgemeiner Faktoren (Anämie, Hypalbuminämie, andere alimentäre Faktoren, z.B. Diabetes)

 

Arterielle Ulzera:

Generell Verbesserung der arteriellen Durchblutung

  • Medikamentös
  • Angioplastie
  • Stenteinlagen, Bypass

 

Die Lokaltherapie richtet sich nach dem Stadium der Wundheilung (stadiengerechte Wundbehandlung), die mit dem Akronym TIME gut erfasst wird:

  • Tissue: chirurgische oder enzymatische Entfernung oder Debridement von nekrotischem Gewebe und Belägen.
  • Infection: Prophylaxe und Behandlung von Wundinfekten.
  • Moisture balance: Wunde darf nicht überfeucht und mazeriert und nicht ausgetrocknet sein.
  • Edge: Wundrandschutz, Ränder, Umgebung.

Kosten

Hochrechnungen aus westlichen Ländern kommen auf einen Kostenaufwand von 1% der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen. Für die Schweiz wären das 200 Mio. CHF bei einem Budget von 20 Mia. CHF pro Jahr.

Bemerkungen

Diabetisches Fusssyndrom

 

Synonym: Acroostepathia ulceromutilans
Mehrere Faktoren treffen zusammen:

  • Periphere Polyneuropathie (PNP) mit dissoziierter Empfindungsstörung durch Befall der dünnen, sensiblen Nervenfasern (gestörte Schmerz-, Temperatur- und Lageempfindung). Ausbildung eines Spreizfusses mit Hammerzehen.
  • Mechanischer Druck: Plantar über dem Os metatarsale-Köpfchen II-IV, medial über dem Hallux valgus, proximal über den proximalen Interphalangealgelenken der Hammerzehen und zwischen den Zehen.
  • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (distaler Unterschenkeltyp).

 

Der diabetische Fuss ist «trocken» im Gegensatz zur Alkohol bedingten Polyneuropathie (Bureau-Barriere Syndrom) mit Hyperhidrosis (Schweissperlen an den Füssen).

 

Aufgrund der reduzierten protektiven Schmerzempfindung entwickeln die Patienten an den Druckstellen ohne Alarmzeichen schmerzlose hämorrhagische Druck- und Friktionsblasen, Hyperkeratosen und schliesslich Wunden, die bis auf den Knochen reichen können. Die erhöhte Infektneigung bei schlecht eingestelltem Blutzucker kann zum diabetischen Fussinfekt mit Osteomyelitis führen, dem häufigsten Grund für Vorfuss- und Unterschenkelamputationen.

 

Differential-Diagnosen des diabetischen Fuss Syndroms: Bureau-Barriere Syndrom (alkoholische Polyneuropathie); Lepra; Lues III/IV; Nerven-Verletzungen.

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